Tuntenhaus Forellenhof

Boys-Networking und Kneipenzusammenhänge“ – Die Gründung des Tuntenhaus Forellenhof

Im Ost-Berlin des Jahres 1990 nutzten HausbesetzerInnen die fehlende staatliche Ordnung, um eigene Lebensentwürfe ungestört austesten zu können. Sie reklamierten nicht nur Wohnraum für sich, sondern schufen auch Platz für eigene Initiativen und Projekte. So entstanden in der Mainzer Straße verschiedene Kneipen, Infoläden sowie ein Antiquariat über DDR-Literatur. Ein in vielerlei Hinsicht besonderes Hausprojekt war das Tuntenhaus mit seiner Kneipe „Forellenhof“.

Das Tuntenhaus (auch Tuntentower) in der Mainzer Straße 4 war das zweite Wohnprojekt in Berlin mit diesem Namen. Zwischen 1981 und 1983 existierte ein Vorgänger in der Bülowstraße 55. Eine direkte Verbindung zwischen den beiden Häusern scheint es aber nicht gegeben zu haben. So war das Projekt in der Bülowstraße weniger mit der autonomen Hausbesetzer-Szene, sondern eher mit der schwulen Szene in Schöneberg verbunden. Dies war beim Tuntenhaus in der Mainzer Straße anders, das allein schon durch die direkte Nachbarschaft stärker in die autonome Szene integriert war. Eine klare Trennlinie zwischen schwuler und autonomer Szene konnte aber auch davor schon nicht gezogen werden. In den späten 1980er Jahren war das Thema Homosexualität, vermutlich auch wegen des Zusammenbruchs des Sozialismus in Osteuropa, immer wichtiger für linke Gruppen geworden.

Einem ehemaligen Bewohner des Tuntenhauses zufolge wurden vor allem in dem Homosexuellentreffpunkt „Café Anal“ in Kreuzberg potentielle BewohnerInnen „gecastet“, zusätzlich aber auch in anderen Kneipen wie der „O-Bar“ oder dem „SchwuZ“, die ebenfalls in Kreuzberg lagen.[1] Gerade die Gäste in dem erst Anfang 1990 eröffneten „Café Anal“ hätten sich besonders an der Gründung eines eigenen Wohnprojekts interessiert gezeigt, erinnern sich später drei BesetzerInnen in einem Interview.[2] Die Hintergründe der Personen, die dort verkehrten, waren sehr unterschiedlich. Das Spektrum reichte von erfahrenen BesetzerInnen hin zu Studierenden, die sich vorher eher in Organisationen wie dem AStA Schwulen-Referat engagiert hatten. Mit den Worten „Boys-Networking und Kneipenzusammenhänge“ fasste so auch ein ehemaliger Bewohner den Findungsprozess für das Tuntenhaus zusammen.[3] Nach einer Annonce in der „Interim“ (Berliner Zeitschrift der autonomen Szene), in der nach besetzungswilligen Gruppen für die Mainzer Straße gesucht wurde, kam dann die Bindung an die autonome Szene zustande. Die Mainzer Straße hatte sich mit ihrem großen Leerstand für eine Besetzung angeboten. Das Tuntenhaus in dem Gebäude Nummer 4 war dann auch als eines der ersten besetzten Häuser in der Straße bewohnbar gemacht worden. Diese schnelle „Instandbesetzung“ war vor allem zahlreichen Sachspenden aus der schwulen Szene zu verdanken.

Schlagerrevue und Nazis – Leben im Forellenhof

In dem Gebäude in der Mainzer Straße 4 lebten circa dreißig „Tunten“, von denen ein Großteil aus Westdeutschland stammte. Ein zeitgenössischer Artikel in der taz spricht von immerhin vier ehemaligen DDR-Bürgern, die im Sommer 1990 in dem Wohnprojekt lebten. Diese Männer wurden von vielen BewohnerInnen sarkastisch „Quoten-Ossis“ genannt. Diese wurden nämlich erst nach der Besetzung „gecastet“, und zwar größtenteils aus dem Umfeld der Ost-Berliner Disco „Buschallee“.

Trotz des Namens fühlte sich nur ein Teil der BesetzerInnen als „Tunten“. Die meisten sahen das „Auffummeln“ eher als politischen Akt und warfen sich nur bei Plenarsitzungen oder Demonstrationen in Frauenklamotten. Einige BesetzerInnen sprachen auch ironisch von einer „Zwangstunterisierung“, die im Tuntenhaus jedem widerfahren sei.[4]

Screenshot aus dem Film „The Battle of Tuntenhaus” (Juliet Bashore) CC BY-NC-SA 3.0

Screenshot aus dem Film „The Battle of Tuntenhaus” (Juliet Bashore) CC BY-NC-SA 3.0

In der Kneipe „Forellenhof“, die sich unten im Tuntenhaus befand, richteten die BewohnerInnen Shows und viele andere kulturelle Aktivitäten aus. So berichtete die taz von einer Feier mit über 300 Gästen im Tuntenhaus. In vielen Erinnerungen an die Mainzer Straße wurden die Feste im Tuntenhaus als Highlights hervorgehoben. Beliebt waren Veranstaltungen wie „Der große Scheiß“, die eine Mischung aus Schlagerrevue und Quizshow darstellten. Generell scheint das Tuntenhaus eines der belebtesten der besetzten Häuser gewesen zu sein.

Gleichzeitig entstanden im Tuntenhaus aber auch Räume wie ein Archiv mit DDR-Literatur. Diese ungewöhnliche Kombination machte das Tuntenhaus zu einer Art „Maskottchen“ der besetzten Häuser in der Mainzer Straße. Wer noch einen anderen Einblick in das Innenleben des Hauses haben möchte, dem sei der hier eingebettete Dokumentarfilm „Battle of Tuntenhaus“ von der amerikanischen Regisseurin Juliet Bashore empfohlen.

Battle of Tuntenhaus Part 1 by Juliet Bashore from MainzerStraßeWebsite on Vimeo

Ein weiteres Thema in dem Dokumentarfilm sind die Auseinandersetzungen mit Neo-Nazis. Diese machten einen großen Teil des Lebens in der Mainzer Straße aus. Das Tuntenhaus war in ein System integriert, mit dem sich die BewohnerInnen gegenseitig warnten. Bei potentieller Gefahr sammelten sich die BesetzerInnen in der Mainzer Straße und rückten gewaltbereit aus. Später wird ein ehemaliger Bewohner des Tuntenhauses darüber sagen, dass es sich hierbei um eine Mischung aus reeller Bedrohung und Wahn gehandelt habe.[5]

Aber auch mit den AnwohnerInnen aus der näheren Umgebung gab es Auseinandersetzungen. So gründete sich eine Nachbarschaftsinitiative gegen die besetzten Häuser. Dabei schien insbesondere das Tuntenhaus einigen AnwohnerInnen ein Dorn im Auge gewesen zu sein. Dies geht aus den Erinnerungen einiger VertreterInnen der Bürgerinitiative hervor.[6] Sie störten sich unter anderem am Küssen in der Öffentlichkeit.

Flugblatt CSD, Ordner Tuntenhaus, Archiv des Schwulen Museums

Flugblatt CSD. Quelle: Archiv des Schwulen Museums ©

Doch auch von der bürgerlichen Schwulenbewegung wollten sich die BewohnerInnen des Tuntenhauses abgrenzen. Sie hatten nach eigener Aussage mehr Ziele, als nur die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen. Dies belegt unter anderem ein Flyer, der für eine alternative Veranstaltung zum Christopher Street Day im Tuntenhaus wirbt. Große Veranstaltungen der Schwulenbewegung wurden zwar gefeiert, aber man grenzte sich von der großen Parade ab. Einige TuntenhausbewohnerInnen sagten auch, dass es eine bewusste „Selbstghettoisierung“ gegeben habe, um sich auch räumlich abzutrennen.[7] Es bleibt bei dieser Aussage aber unklar, ob sich das auf den heterosexuellen Mainstream oder die bürgerliche Schwulenbewegung bezog.

Räumung und neue Wege – Das Ende des Tuntenhauses 

Battle of Tuntenhaus Part 2 by Juliet Bashore from MainzerStraßeWebsite on Vimeo

Fotograf: Unbekannt, Das neue Tuntenhaus an der Kastanienallee 86

Das neue Tuntenhaus in der Kastanienallee 86, Berlin o.D. Fotograf unbekannt/Username Flickr: ctot_not_def. Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY 2.0

Nach der Räumung verlaufen sich die Spuren vieler BewohnerInnen des Tuntenhauses. Einige zogen in das neue Tuntenhaus in der Kastanienallee 86 im Prenzlauer Berg. Dieses Haus wurde recht bald nach seiner Besetzung legalisiert. Hier herrschte aber wieder ein insgesamt unpolitischerer Ansatz, und ehemalige BewohnerInnen vermissten das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mainzer Straße, wie einige Interviews aus dem zweiten Teil des Films „Battle of Tuntenhaus“ zeigen. Der zweite Teil des Films wurde ungefähr zwei Jahre nach der Räumung gedreht. Generell scheint das Erlebnis der Räumung bei einigen BewohnerInnen zu einer Traumatisierung geführt zu haben. Andere sprachen aber davon, dass die Räumung sie noch viel mehr zusammengeschweißt hätte. Das Ende einer Utopie war es aber wohl für alle BesetzerInnen.

Unabhängig davon, wie man die Besetzung und die spätere Räumung der Mainzer Straße bewertet, bleibt festzuhalten, dass das Tuntenhaus eines der interessantesten Hausprojekte in Berlin war. Schließlich waren selten so vielfältige Subkulturen an einer Hausbesetzung beteiligt gewesen.

Tom Koltermann, März 2016

Quellenverzeichnis

Arnold Walter, Tote Häuser mit einem Rest von Seele, in: Neue Zeit, 02.06.1990.

Flugblatt CSD, Ordner Tuntenhaus, Archiv des Schwulen Museums.

Olaf Kampmann, Unverständnis im puritanischen Osten, in: die tageszeitung taz, 15.11.1990.

Dirk Ludigs, Das „Haus des homosexuellen Mitbürgers“, in: die tageszeitung taz, 30.06.1990.

Unbekannter Autor, Leben in der Mainzer Straße, in: die tageszeitung taz, 14.05.1990.

Literaturverzeichnis

Amantine, Gender und Häuserkampf, Münster 2011.

Susann Arndt u. a. (Hrsg.), Berlin Mainzer Straße. „Wohnen ist wichtiger als das Gesetz“, Berlin 1992.

Grauwacke, A. G., Autonome in Bewegung, Berlin 2004.

[1] Interview mit ehemaligen Bewohnern des Tuntenhauses, in: Amantine, Gender und Häuserkampf, Münster 2011, S. 183-189.

[2] Interview mit ehemaligen Bewohnern des Tuntenhauses, in: Amantine, Gender und Häuserkampf, Münster 2011, S. 183-189.

[3] Interview mit ehemaligen Bewohnern des Tuntenhauses, in: Amantine, Gender und Häuserkampf, Münster 2011, S. 183-189.

[4] Interview mit ehemaligen Bewohnern des Tuntenhauses, in: Amantine, Gender und Häuserkampf, Münster 2011, S. 183-189.

[5] Interview mit ehemaligen Bewohnern des Tuntenhauses, in: Amantine, Gender und Häuserkampf, Münster 2011, S. 183-189.

[6] „Was ist den heute in der Mainzer los”? Interviews mit Anwohnern und Beobachtern, in: Susann Arndt u.a. (Hrsg.), Berlin Mainzer Straße. „Wohnen ist wichtiger als das Gesetz“, Berlin 1992.

[7] Interview mit ehemaligen Bewohnern des Tuntenhauses, in: Amantine: Gender und Häuserkampf, Münster 2011, S. 183-189.