Friedrichshain: Hochburg des Widerstands – bis 1933

Nicht nur KommunistInnen waren seit Ende der 1920er Jahre heftig darum bemüht, die „Machtergreifung“ der nationalsozialistischen Bewegung zu verhindern. Auch die Sozialdemokratie leistete Widerstand auf allen Ebenen, sei es in den Parlamenten oder auf der Straße. Die SPD war sogar dazu bereit, den sozial harten Kurs von Reichskanzler Heinrich Brüning – seines Zeichens Zentrumspolitiker – mitzutragen, um mit allen Mitteln eine überparteiliche parlamentarische Front gegen die NSDAP zu bilden.

Neben SPD und Zentrum gab es keine Partei, die über eine ernstzunehmende Zahl von WählerInnen verfügte und obendrein am Fortbestehen des Weimarer Staates interessiert war. Die KPD verfolgte trotz ihres antifaschistischen Kampfes ganz andere Ziele; ihren Mitgliedern war die Sozialdemokratie ebenso verhasst wie die Republik selbst. Dennoch behielt die SPD ihren Glauben an den Parlamentarismus und setzte weiterhin auf politische Lösungen. Vielen Mitgliedern war dies nicht genug, sodass sie den Widerstand auf andere Weise organisierten.

Geeinte Arbeitersolidarität für den Erhalt der Republik

Das Symbol der Eisernen Front. Urheber: Fusslkopp, Quelle: Wikimedia Commons https://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Eiserne_Front_Symbol.png?uselang=de CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

Das Symbol der Eisernen Front. Urheber: Fusslkopp, Quelle: Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

In Berlin waren überwiegend sozialdemokratische Arbeiter unter den mehr als 10.000 Aktiven in der Republikschutztruppe Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Die Aufgaben dieser Massenorganisation bestanden unter anderem darin, Demonstrationen für den Erhalt der Republik durchzuführen und rechtspolitischen, staatsfeindlichen Kundgebungen entgegenzutreten. Ab 1931 bildeten Reichsbanner, Gewerkschaften, SPD und Arbeitersportler einen kampfentschlossenen republikanischen Verband: die Eiserne Front. Ihr Zeichen waren drei Pfeile, welche die geeinte Arbeitersolidarität symbolisieren sollten. Wer das Zeichen trug, grüßte einander mit dem Ausruf „Freiheit!“

In Friedrichshain war der Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold in sieben sogenannte Kameradschaften unterteilt, in denen jeweils zwischen 35 und 90 Männer aktiv waren. Jede dieser Kameradschaften hatte ein Stammlokal. Die zahlenmäßig stärkste traf sich etwa im Lokal „Witschus“ auf der Petersburger Straße, zwei Kilometer von der Mainzer Straße entfernt. Ebenfalls auf der Petersburger Straße befand sich das „Keglerheim“, das wiederum den Nationalsozialisten als Stammlokal diente. Später, ab 1933, verschleppte die SA systematisch Antifaschisten hierher, um sie auf grausame Weise zu foltern, sodass im Volksmund bald vom „Mörderkeller“ die Rede war.

Regelmäßig kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Reichsbannern und der SA. Auch Familienmitglieder von bekannten Reichsbannern wurden zusammengeschlagen. So verschleppte und misshandelte die SA den Friedrichshainer Rudi Brückner, weil er der Sohn eines SPD-Landtagsabgeordneten war. Wurden Anhänger beider Lager – etwa wegen des Anbringens von Plakaten – verhaftet und im selben Polizeifahrzeug transportiert, lieferten sie sich oft auf dem Weg ins Präsidium Schlägereien, die sie in der Zelle fortsetzten.

Ein Propaganda-Fahrzeug des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold wirbt 1930 zur Reichstagswahl in den Straßen Berlins. Fotograf: unbekannt, Quelle: Bundesarchiv Bild 102-10312 / Wikimedia Commons CC-BY-SA 3.0

Ein Propaganda-Fahrzeug des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold wirbt 1930 zur Reichstagswahl in den Straßen Berlins. Fotograf: unbekannt, Quelle: Bundesarchiv Bild 102-10312 / Wikimedia Commons CC-BY-SA 3.0

Für die Demokratie ins Grab oder ins Gefängnis

Etliche sozialdemokratische Arbeiterfamilien – insbesondere in Friedrichshain – schickten ihre Söhne in die Kameradschaften des Reichsbanners, wo sie Gesundheit und Leben im Kampf um die demokratische Verfassung riskierten. Viele gingen für die Republik auch ins Gefängnis.

Die starke Arbeitslosigkeit trieb schließlich immer mehr Menschen in die Arme der NSDAP, die schon seit 1929 zu einer Massenpartei geworden war. Dennoch waren SozialdemokratInnen und KommunistInnen bis zum letzten Tag der Weimarer Republik nicht zur Zusammenarbeit – weder in der Politik noch auf der Straße – bereit: Die Anhänger der Eisernen Front schlugen sich nicht nur mit Nationalsozialisten, sondern auch mit KPD-Anhängern. Von einer geeinten Arbeitersolidarität konnte also kaum die Rede sein, vielmehr zermürbten sich die Arbeiter des Bezirks gegenseitig. Am 1. Mai 1933, dem ersten „Tag der nationalen Arbeit“, fanden sich schließlich auch in Friedrichshain keine roten Banner mehr – mit Ausnahme der Fahne mit dem Hakenkreuz.

Christian Schmitt, März 2016

 

Literaturverzeichnis

Martin Düspohl/Dirk Moldt (Hrsg.), Kleine Friedrichshaingeschichte, Berlin 2013.

Hans-Rainer Sandvoß, Widerstand in Friedrichshain und Lichtenberg. 1933-1945, Berlin 1998.