Landwirtschaftliche Nutzung vor den Toren Berlins
Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein befand sich die Gegend um die Mainzer Straße auf freiem Feld, weit außerhalb des Berliner Stadtgebiets. Die Berliner Zoll- und Akzisemauer, in den Jahren 1734 bis 1737 unter Friedrich Wilhelm I. erbaut, endete damals am Frankfurter Tor. Dieses befand sich weiter westlich als der gleichnamige Platz heutiger Tage, in etwa auf Höhe der heutigen U-Bahn-Station Weberwiese. Außerhalb der Zollmauer erstreckte sich bis zum Dorf Lichtenberg landwirtschaftliche Nutzfläche. Allerdings war diese nur wenig ertragreich. Die Wiesen der Gegend waren feucht und von einzelnen Sandinseln durchsetzt. Gartenbau war hier nur teilweise möglich, an den Anbau von Getreide war kaum zu denken. Neben Sellerie pflanzte man vor allem Zichorie an, eine heutzutage fast vergessene Nutzpflanze. Aufgrund ihres leicht bitteren Geschmacks diente sie als Gewürz oder, mit Gerste vermischt, als eine Art Kaffeeersatz. Schließlich wurden die Böden im großen Stil mit Erde aufgeschüttet und die Sandinseln eingeebnet. Durch diese Maßnahme konnte der Ertrag gesteigert werden, und schon bald genossen die dort angebauten Kirschen in Berlin einen ausgezeichneten Ruf. So blieb die Gegend zwischen Berlin und Lichtenberg über lange Jahre hinweg von Gärtnereien und Obstwiesen geprägt.
Friedrichsberg schreibt Geschichte
Die ersten SiedlerInnen in der Gegend waren Glaubensflüchtlinge aus Böhmen und Frankreich. Für diese wurde durch einen Erlass des Königs im Jahre 1770 auf der Feldmark Lichtenbergs eine Siedlung gegründet. Dem König zur Ehre erhielt sie den Namen Friedrichsberg. 1838 wurde Friedrichsberg in das Berliner Adressbuch aufgenommen, war jedoch weiterhin kein Teil der Stadt, sondern verblieb bei Lichtenberg. Doch langsam streckte die nahe gelegene preußische Hauptstadt verstärkt ihre Fühler in Richtung Friedrichsberg aus. Als die Berliner Georgen-Parochial-Gemeinde nach einem neuen Begräbnisplatz für ihre Mitglieder und Mitgliederinnen suchte, wurde sie auf Friedrichsberger Gebiet fündig. Im Jahre 1867 legte man just am Ort der damals noch nicht existierenden Mainzer Straße einen neuen Friedhof an. Die ihn umgebende Bebauung sollte noch vierzig Jahre auf sich warten lassen. 1872 erhielt Friedrichsberg sogar einen eigenen Bahnhof. Dieser existiert noch heute unter dem Namen Frankfurter Allee. Auch ein eigenes Postamt erhielt die Siedlung. Am 10. November 1877 wurde dort Geschichte geschrieben. Unter den Augen des Reichskanzlers Otto von Bismarck startete hier die erste Telegrafenstation in Deutschland ihren Betrieb. Der Fernsprecher reichte zunächst nur bis Berlin. All die neuen infrastrukturellen Einrichtungen erfolgten, obwohl Friedrichsberg damals nur etwa 3000 EinwohnerInnen besaß. Dies sollte sich jedoch gegen Ende des 19. Jahrhundert innerhalb kürzester Zeit ändern.
Die Entstehung der Mainzer Straße durch James Hobrecht
Bereits James Hobrecht hatte in seinem Bebauungsplan von 1862 das noch weitgehend unbebaute Gebiet parzellieren lassen und die vorgesehene Straßenführung geplant. In jenem Bebauungsplan befindet sich rechts neben dem Parochial-Friedhof eine neue Verbindungsstraße zwischen den bereits bestehenden Wegeverbindungen Frankfurter Allee und Boxhagener Straße. Hobrechts Planungen markieren damit gewissermaßen die Geburt der Mainzer Straße. Auf dem Bebauungsplan wurde die Gegend „Klein Frankfurt“ getauft. Ein Name, der sich nicht durchsetzen konnte. Auch der von Hobrecht geplante Platz D (siehe Abb. 3), welcher sich unmittelbar südlich der Mainzer Straße anschließen sollte, fiel der Spekulationspolitik der Immobiliengesellschaften zum Opfer. Als 1897 schließlich ein endgültiger Bebauungsplan für die Gegend vorgestellt wurde, geriet der heutige Boxhagener Platz um einiges kleiner und lag nun zudem einen Block von der Mainzer Straße entfernt.
Aufgrund der Spekulationspolitik der Bauherren wurden die Parzellen mit typischen „Berliner Mietkasernen“ bebaut. Die Häuser sollten in ihrer Bewohnerschaft sozial durchmischt sein, was sich auch in ihrer Bauweise niederschlug. In den repräsentativen Vorderhäusern mit ihren Fassaden im Stil der Neorenaissance sollte es sich das Bürgertum bequem machen, während in den Hinterhäusern und Seitenflügeln die Arbeiterschicht in kleinen Wohnungen hauste. Diese bestanden größtenteils nur aus Küche und Stube. Darüber hinaus befanden sich meist Werkstätten und Ställe in den Hinterhöfen. Im proletarisch geprägten Friedrichshain war fließendes Wasser beim Bau der Wohnungen noch nicht die Regel und wurde teilweise erst später installiert.
Im Jahre 1907, als Lichtenberg, zu dem Friedrichsberg damals immer noch gehörte, das Stadtrecht verliehen bekam, lebten allein in Friedrichsberg bereits über 50.000 Menschen. Die bauliche Entwicklung war da bereits weitgehend abgeschlossen. Es genügten zehn Jahre, um das Gebiet vollständig mit den typischen Berliner Mietkasernen zu bebauen. Aus diesem Grund findet sich in der Mainzer Straße ein sehr homogenes Straßenbild, welches glücklicherweise die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges mit Ausnahme eines Eckhauses an der Frankfurter Allee unbeschadet überstanden hat. So präsentiert sich die Mainzer Straße heute im selben baulichen Zustand wie zu Zeiten ihrer Entstehung. Heute stehen mehrere Häuser der Mainzer Straße unter Denkmalschutz. Vor allem das Eckgebäude Mainzer Straße 19/Scharnweberstraße 33 belegt mit seiner Stuckfassade und schmiedeeisernen Balkonen beispielhaft die großstädtisch geprägte Wohnbebauung der damaligen Zeit. Die typische Berliner Mischung von Mietshaus an der Straßenfront und Ställen, Schmieden und weiteren Gewerbebauten im Hofbereich lässt sich am Gebäude Mainzer Straße 16 besonders gut nachvollziehen. Dort befindet sich bis heute im Hofbereich neben Schmiede und Pferdestall ein dreigeschossiges Fabrikgebäude.
Bei der Gründung von Groß-Berlin im Jahre 1920 wurde Lichtenberg schließlich nach Berlin eingegliedert. Zeitgleich entstand ein neuer Stadtbezirk mit dem Namen Friedrichshain. Der Großteil des alten Friedrichsbergs mit der Mainzer Straße verblieb zunächst jedoch beim Bezirk Lichtenberg. Erst im Zuge einer Neugliederung der Bezirksgrenzen im Jahre 1938 wurde die Mainzer Straße Teil der „Horst-Wessel-Stadt“, wie der Bezirk Friedrichshain während der Zeit des Nationalsozialismus genannt wurde. Der Name Friedrichsberg geriet so mit den Jahren allmählich in Vergessenheit. Als man jedoch 2001 im Zuge einer abermaligen Verwaltungsreform die Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg zusammenlegte, wurde Friedrichsberg als möglicher Name des neuen Bezirks vorgeschlagen und hatte so für kurze Zeit ein Comeback im städtischen Diskurs.
David Schwalbe, März 2016
Bauakten eines Neubaus durch den Kaufmann Albert Gartenschläger auf dem Grundstück Mainzer Strasse 13, Quelle: Landesarchiv Berlin, A Rep. 010-02, Nr. 31732 © Landesarchiv Berlin mit freundlicher Genehmigung
Literaturverzeichnis
Wanja Abramowski, Siedlungsgeschichte des Bezirks Friedrichshain von Berlin bis 1920, hrsg. Kulturamt Friedrichshain, Heimatmuseum, Berlin 2000.
Martin Düspohl/Dirk Moldt (Hrsg.), Kleine Friedrichshaingeschichte, Berlin 2013.
Johann Friedrich Geist, Das Berliner Mietshaus 1862-1945, München 1984.
Denkmaldatenbank des Landesdenkmalamtes Berlin