Streben nach Freiheit
DDR Anfang der 1970er Jahre. Der Beamte Paul ist verheiratet und lebt im Plattenbau in der Singerstraße im Bezirk Friedrichshain. Als er die alleinerziehende Mutter und Verkäuferin Paula kennenlernt, entsteht eine außergewöhnliche Liebesgeschichte. Im März 1973 begeisterte das DDR-Drama „Die Legende von Paul und Paula“ vom Autor und Regisseur Heiner Carow das ostdeutsche Kinopublikum. Der Film zeigte nicht nur die Liebe eines Ostberliner Paares, sondern spiegelte die Wünsche vieler DDR-BürgerInnen wider: das Streben nach Freiheit, Selbstbestimmung und individuellem Glück. Dabei gelang es dem Film, die ungleichen sozialen Milieus seiner Zeit abzubilden. Doch welche gesellschaftlichen Schichten gab es überhaupt in der DDR?
Entstehung einer sozialistischen Gesellschaft
Am 7. Oktober 1949 wurde die Deutsche Demokratische Republik (DDR) unter der Führung von Wilhelm Pieck gegründet. Damit übernahm die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) die Macht im zweiten deutschen Staat. Das Ziel, auf Dauer eine homogene sozialistische Gemeinschaft aufzubauen, ging zunächst mit der Verdrängung ehemaliger Wirtschaftseliten und der Enteignung früherer Gutsbesitzer einher. Währenddessen idealisierte die SED die Arbeiterschaft – im „Klassenbündnis“ mit den werktätigen Bauern – als neue führende Gesellschaftsschicht, die als fortschrittlich und zukunftsweisend galt. Zudem stellte das Regime zahlreiche neue LehrerInnen und WissenschaftlerInnen ein, die in ihrem Bildungsauftrag die Weltanschauung des Marxismus-Leninismus in der Gesellschaft dauerhaft festigen und neue Nachwuchskräfte ausbilden sollten. Denn nicht nur die Entmachtung alter Schichten, sondern auch die Flucht und Ausreise von knapp 2,8 Millionen Ostdeutschen vor dem Mauerbau 1961 hatten zum Verlust von Akademikern und Lehrkräften geführt. So bildete sich in den 1950er und 1960er Jahren eine sozialistische Oberschicht heraus, die bis zur Wende bestehen blieb.
Soziale Schichten
An der Spitze der DDR standen die Parteifunktionäre, welche die Machtelite des Staates darstellten und sich durch ihre politische Loyalität auszeichneten. Nach der Arbeiterschaft – als größte führende soziale Schicht – stellten Bäuerinnen und Bauern, Landarbeiterinnen und Landarbeiter und später auch Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) eine weitere Gruppierung der DDR-Gesellschaft dar. Hinzu kamen das akademische Bildungsbürgertum sowie die kleinbürgerlichen Milieus, in die sich auch Angestellte und Selbstständige einordnen ließen. Doch wie verhielt es sich mit dem Restbürgertum der DDR? Besonders BürgerInnen, die ein eher nonkonformes Leben suchten, mussten sich den politischen Begebenheiten anpassen, was in den 1970er und 1980er Jahren oftmals zur Entwicklung alternativer Lebensformen führte.
Alternatives Leben in Friedrichshain
Nach 1945 erholte sich der Altstadtbezirk Friedrichshain nur langsam von den Zerstörungen des Krieges. Die vorherrschende Wohnungsnot führte dazu, dass sich vor allem sozial schwächere Schichten in alten unsanierten Altbauten niederließen, die zukünftig Neubauten weichen sollten. Es entwickelten sich alternative Lebensarten. Ein bekanntes Beispiel ist die „Kommune 1 Ost“, die 1969 von vier jungen Friedrichshainern gegründet wurde. Sie lehnten sich an westliche Wohnformen an, wie sie auch im Nachbarbezirk Kreuzberg zu finden waren, der zu West-Berlin gehörte.
Die Bewohner der Kommune erprobten sich dabei in sexueller Freizügigkeit, beteiligten sich an Demonstrationen, unterhielten Kontakte zu BürgerInnen aus West-Berlin und suchten zugleich die Flucht ins Private vor dem sozialistischen Staat. Davon ausgehend, entstanden auch in weiteren Teilen des Bezirks Räume, in denen sich DDR-BürgerInnen der Öffentlichkeit entzogen und nach ihren ganz eigenen Vorstellungen ihren Alltag gestalteten und selbstbestimmt wohnten. Als die prekären „A“s des Ostens wurden die Alleinerziehenden, Alten, AussteigerInnen und AusreiseantragstellerInnen auch charakterisiert. Eben jene sozialen Milieus, die der Film „Die Legende von Paul und Paula“ im Friedrichshain der 1970er Jahre thematisiert.
Isabel Evels, März 2016
Literaturverzeichnis
Arnd Bauerkämper, Die Sozialgeschichte der DDR (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 76), München 2005.
Hanno Hochmuth, Eine Brücke zwischen Ost und West. Friedrichshain und Kreuzberg als Verflechtungsraum, in: Detlev Brunner/Udo Grashoff/Andreas Koetzing (Hrsg.), Asymmetrisch verflochten? Neue Forschungen zur gesamtdeutschen Nachkriegsgeschichte, Berlin 2013, S. 195-208.