Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges mussten ca. 20 Millionen Menschen im Reichsgebiet sowie in den besetzten Gebieten Zwangsarbeit verrichten und wurden durch zahlreiche Bestimmungen deklassiert und entrechtet. Bis 1941 lag der Fokus des Einsatzes von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen eher in der Landwirtschaft. Berlins besondere Stellung als Reichshauptstadt und Millionenmetropole mit großen Industriekomplexen erforderte aus Sicht des NS-Regimes im Laufe des Krieges einen massenhaften Einsatz von ca. 500.000 Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen. Damit machten ZwangsarbeiterInnen 20 Prozent aller eingesetzten Arbeiterkräfte in Berlin aus. Ohne den mit brutalen Mitteln durchgesetzten millionenfachen Einsatz ausländischer Arbeitskräfte wären Wirtschaft und Kriegsführung in Deutschland spätestens Anfang 1942 zusammengebrochen. Ihre große Anzahl sowie die Tatsache, dass fast jedes Unternehmen und jede städtische Versorgungseinrichtung Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen während des Zweiten Weltkrieges beschäftigt hat, machten sie im Stadtbild Berlins omnipräsent.
Lageralltag und Kontaktverbot
Neben rassenideologischen Gründen befürchtete das NS-Regime von ZwangsarbeiterInnen organisierte Streiks und Sabotageaktionen, misstraute aber auch der Berliner Bevölkerung, da diese in großen Teilen bis 1933 noch politisch links orientiert war. Daraus resultierte die Unterbringung in Lagern und ein Kontaktverbot, welches bis auf einige Ausnahmen sowohl von der deutschen Bevölkerung als auch von den ZwangsarbeiterInnen in der Regel eingehalten wurde. Das Risiko, hart bestraft oder gar zum Tode verurteilt zu werden, war für alle Beteiligten zu groß. Als Deutscher oder Deutsche musste man über eine Strafe hinaus damit rechnen, gesellschaftlich isoliert und als VerräterIn und Heimatfeind stigmatisiert zu werden. Ein Teil der BerlinerInnen begegnete den ZwangsarbeiterInnen mit Misstrauen und Verachtung. Der andere Teil tat sie als alltägliches Phänomen im Kriegsalltag ab und war ihnen gegenüber gleichgültig eingestellt. Neben Privatpersonen zogen vor allem große Unternehmen wirtschaftliche Vorteile aus dem massenhaften Einsatz von ZwangsarbeiterInnen. Nicht selten geschah das, indem verbale und körperliche Gewalt eingesetzt wurde, um die Produktivität weiter zu steigern.
Die Unterbringung in Lagern sollte in Berlin und anderen Großstädten sowohl eine bessere Überwachung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter als auch eine weitere Möglichkeit der Separation von der deutschen Bevölkerung fördern. Zunächst wurden vor allem ehemalige Festsäle, Schulen, Hotels und Fabriketagen, aber auch Wohnungen von Privatpersonen zur Unterbringung von ZwangsarbeiterInnen genutzt, im Verlauf des Krieges aber immer mehr provisorische Lager errichtet. In Berlin sind ca. 3000 Lager belegt, die beiden größten in Adlershof und Falkensee.
In Friedrichshain sind unweit der Mainzer Straße mehrere Betriebe in der Frankfurter Allee und in der Boxhagener Straße nachgewiesen, die Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen beschäftigt haben. Auch einige kleine Lager sind bekannt, sodass anzunehmen ist, dass auch die BewohnerInnen der Mainzer Straße aufgrund der allgemeinen Omnipräsenz von ZwangsarbeiterInnen in Berlin und vor allem wegen ihrer örtlichen Nähe zu den Betrieben und Lagern in der Frankfurter Allee und der Boxhagener Straße täglich mit ZwangsarbeiterInnen auf ihrem Weg zur Arbeit oder bei alltäglichen Unternehmungen in Kontakt kamen.
In den oft überbelegten Lagern herrschten katastrophale Hygienebedingungen, und es entwickelten sich aufgrund von unzureichender Ernährung und Versorgung Schwarzhandel, Korruption und Prostitution. Zusammenfassend zählten also zu den wesentlichen Elementen von Zwangsarbeit vor allem die oft traumatische Deportation ins Deutsche Reich sowie die schwere körperliche, fremdbestimmte und in der Regel unqualifizierte Arbeit ohne entsprechende Arbeitskleidung. Hinzu kamen übermäßig lange Arbeitszeiten, permanenter Hunger, sichtbare Kennzeichnung (zum Beispiel „OST“-Abzeichen und Polen-„P“), die eingeschränkte Mobilität und das Verbot, an kulturellen Veranstaltungen des öffentlichen Lebens teilzunehmen, sowie die damit einhergehende Isolation von der deutschen Bevölkerung. Willkür, Bewachung, Gewaltandrohung und Misshandlungen lassen sich durch alle Bereiche der Zwangsarbeit nachverfolgen.
Die Marginalisierung der Zwangsarbeit
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war das komplexe, schockierende und brutale Phänomen der Zwangsarbeit bereits nach kurzer Zeit weder im Stadtbild Berlins noch im Bewusstsein der Bevölkerung präsent, da fast alle Lager abgerissen wurden. Über vier Jahrzehnte ist das Thema Zwangsarbeit angesichts der vielen Kriegstoten, der Armut und zerstörten Regionen, aber auch der angespannten Situation im Kalten Krieg weitestgehend marginalisiert und ihre Opfer sind allein gelassen worden.
Vor allem große Unternehmen versuchten, die Beschäftigung von Zwangsarbeitern und -arbeiterinnen in ihren Betrieben stillzuschweigen und trugen zu dieser Marginalisierung bei. Erst seit den 1980er Jahren kam es zum Perspektivwechsel, und alle Opfer der nationalsozialistischen Terror- und Vernichtungspolitik rückten vor allem durch die Debatten um Entschädigungszahlungen und unternehmensgeschichtliche Studien in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und der Forschung. Bis heute gibt es vergleichsweise wenige Gedenktafeln und nur ein erhaltenes Lager in Berlin-Schöneweide, das zu einem Dokumentationszentrum umgestaltet wurde und an das Leiden der Zwangsarbeiter erinnert.
Helena Becker, März 2016
Literaturverzeichnis
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