Studenten im Dienst des MfS – Zwei Fallbeispiele aus der Mainzer Straße

„Hiermit erkläre ich mich bereit, mit dem MfS inoffiziell zusammenzuarbeiten“, schrieb der Student „Hans Radke“ (Deckname) aus der Mainzer Straße im Oktober 1983 in seiner Verpflichtungserklärung gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS). In den 1970er und 1980er Jahren rekrutierte das MfS häufig auch Jugendliche und Studenten. Zehn Prozent der Inoffiziellen Mitarbeiter (IMs) waren bis 25 Jahre alt und während des Militärdienstes oder als Studenten angeworben worden. Für letztere entschied der Dienst für das MfS oftmals über die Karriereperspektiven in der DDR. Aus Sicht des MfS versprachen die jugendlichen inoffiziellen Mitarbeiter außerdem Einblicke in die Submilieus der Jugendkulturen. Wie der Student „Hans Radke“ verpflichteten sich nach Schätzungen der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) bis 1989 etwa 173.000 Einwohner der DDR als IMs. Die hier untersuchten Akten der BStU zeigen am Beispiel eines Studenten und einer Studentin aus der Mainzer Straße in Friedrichshain in den 1980er Jahren, nach welchen Kriterien das MfS bei der Anwerbung neuer IMs vorging. Es gilt zu beachten, dass die Akten hierbei nur die Sicht der Täter widerspiegeln und die tatsächlichen Beweggründe der beschriebenen Personen nicht deutlich werden.

Vorschlag zum Anlegen einer IM-Vorlaufakte von „Hans Radke“ (Deckname) im August 1982. Quelle: BStU © mit freundlicher Genehmigung

 

Fallbeispiel 1: Der Student „Hans Radke“

Der Student „Hans Radke“ wohnte 1982 in einer Einraumwohnung in der Mainzer Straße. Er war zu diesem Zeitpunkt als Forschungsstudent an der Humboldt-Universität tätig und Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Im August 1982 fand der Student erstmals in einer „IM-Vorlaufakte“ Erwähnung.

„Der Kandidat wurde im Rahmen der Suche und Auswahl geeigneter IM-Kandidaten als ein klassenbewußter DDR-Bürger bekannt. Er verfügt über wesentliche subjektive und objektive Voraussetzungen, daß MfS inoffiziell zu unterstützen. Durch sein offenes und aufrichtiges Auftreten, seine ausgesprochene Kontaktfreudigkeit und geistige Beweglichkeit sowie seine leichte Auffassungsgabe ist er in der Lage, Kontakte ins OG [Operationsgebiet] aufzunehmen und auszubauen. Neben einem ausgeprägten Allgemeinwissen hat er ein fundiertes politisches Wissen und einen festen Klassenstandpunkt.“

Verpflichtungserklärung des Studenten "Hans Radke" (Deckname) zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS im Oktober 1983.

Verpflichtungserklärung des Studenten „Hans Radke“ (Deckname) zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS im Oktober 1983. Quelle: BStU © mit freundlicher Genehmigung

Auf die Vorlaufakte folgte der Vorschlag zur Werbung und Verpflichtung als IM, der die vorgesehene Einsatzrichtung des künftigen IMs beinhaltete: „Es ist geplant, den Kandidaten zur Aufklärung und Bearbeitung von Personen aus militanten Vorfeldgruppen des Operationsgebietes sowie deren Verbindungen in die DDR einzusetzen.“, hieß es dort. Das endgültige Werbungsgespräch mit dem Studenten fand bereits wenige Monate später im Februar 1983 statt. Wie aus den Akten hervorgeht, erfolgten daraufhin in einem 14-tägigen Rhythmus Gespräche, die die Bindung des IMs „Hans Radke“ an das MfS und die „Feinbildvermittlung“ stärken sollten.

Fallbeispiel 2: Die Studentin „Carola“

„Carola“ (Deckname) aus der Mainzer Straße studierte im Januar 1986 ebenfalls an der Humboldt-Universität, als das MfS sie als potenzielle IM unter diesem Decknamen ohne ihr Wissen in den Blick nahm. Die junge Frau sollte – so war es geplant – vor allem in ihrer unmittelbaren Umgebung als Spitzel auftreten. Denn Ziel war es laut ihrer Akte „einen studentischen IM zu gewinnen, der zur politisch-operativen Sicherung studentischer Personenkreise unter besonderer Berücksichtigung des Freizeitbereiches der Studenten, speziell in den Studentenklubs der Wohnheime eingesetzt werden kann“. Das MfS bespitzelte die junge Frau sowie ihre Eltern ohne deren Wissen über einen längeren Zeitraum hinweg. Berichte wurden geschrieben und Einschätzungen abgegeben. Schließlich verzichtete das MfS im Oktober 1988 auf die Anwerbung, da die Studentin und ihre Eltern „umfangreiche Kontakte zu BRD-Personen“ unterhielten, so die Begründung. Dennoch wurde die Studentin noch weit bis ins Jahr 1989 vom MfS beobachtet.

Bild 3) Abschlussvermerk des IM-Vorlaufs „Carola“

Abschlussvermerk des IM-Vorlaufs „Carola“. Quelle: BStU © mit freundlicher Genehmigung

Isabel Evels, März 2016

 

Quellenverzeichnis

Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), Aktensignaturen: MfS AIM 202/91, MfS HA II/13 Nr. 554

 

Literaturverzeichnis

Jens Gieseke, Jens, Die Stasi 1945-1990, München 2011.