Für die Szene der HausbesetzerInnen stellte die Räumung der Mainzer Straße einen tiefen Einschnitt dar. Ebenfalls blieben den teilnehmenden Polizeikräften die Ereignisse lange im Gedächtnis. Und auch auf die Politik nahm das Geschehen direkten Einfluss.
Seit dem 16. März 1989 regierte – zu dieser Zeit vorerst nur in West-Berlin – eine nach den Wahlen im Januar gebildete Koalition aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) unter Walter Momper und der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL), aus der später die Partei Bündnis 90/Die Grünen hervorging. Mit dem Fall der Mauer hatte die noch junge Senatskoalition plötzlich neue, bisher unbekannte Probleme zu lösen. Sie musste mit der ehemaligen Regierung Ost-Berlins, dem Magistrat, zusammenarbeiten und sich tagesaktuellen Themen – wie der Grenzöffnung, dem großen Andrang an BürgerInnen der DDR sowie der Einführung der D-Mark – stellen.
In diese ereignisreiche Zeit fiel zudem der sogenannte kurze Sommer der Anarchie, in dem Häuser in Ost-Berliner Stadtteilen von größtenteils West-BerlinerInnen und westdeutschen BürgerInnen besetzt worden waren. Nun musste der bestehende Senat mit dieser Situation umgehen. Schon vor der Wiedervereinigung war gemeinsam mit dem Ost-Berliner Magistrat entschieden worden, die sogenannte Berliner Linie durchzusetzen. Diese unter dem Regierenden Bürgermeister West-Berlins, Hans-Jochen Vogel, 1981 entwickelte Verordnung sah die Räumung aller neu besetzten Häuser innerhalb von 24 Stunden vor, um der steigenden Zahl an besetzten Häusern entgegenzuwirken, und wurde auch von späteren Koalitionen im Senat übernommen.
Während der Räumung einiger Häuser in der Nachbarschaft wurde die Konfrontation auch in die Mainzer Straße hineingetragen. Als die Polizei dort auf starken Widerstand traf, zog sie sich zurück. In einem nächtlichen Treffen des Polizeipräsidenten Georg Schertz mit dem Innensenator Erich Pätzold und anderen wurde die Räumung der Mainzer Straße für den 14. November 1990 beschlossen. Der Regierende Bürgermeister Walter Momper hielt sich zu der Zeit in Moskau auf. Die AL behauptete auch später, keine Kenntnis über den bevorstehenden Polizeieinsatz gehabt zu haben. Momper bestritt dies entschieden. Da sie mit den BesetzerInnen sympathisierte, versuchte die AL, die Situation als Vermittlerin zu entschärfen.
Alle Versuche scheiterten jedoch. Nach den Geschehnissen des Tages legten drei Senatorinnen der AL ihr Amt im Senat nieder. Am 16. November 1990 gab Renate Künast die Auflösung der rot-grünen Koalition von Seiten der AL bekannt, obwohl bereits Neuwahlen auf Grund der Wiedervereinigung Berlins für Ende des Jahres angesetzt worden waren. Nach diesem tiefen Bruch kam es erst im Jahr 2001 in Berlin wieder zu einer Koalition dieser beiden Parteien.
Iven Hoppe, April 2016
Literaturverzeichnis
Susan Arnd u.a. [Bialas, S./ Friedrich, G./ Friemel, G./ Gruner, C/ Kowalczuk, I.-L./ Miller, L./ Rieger, F./ Thiele, M/ Ziesche, M./ Hauswald, H./ Pietzker, M./ Zille, H.], Mainzer Straße – „Wohnen ist wichtiger als das Gesetz“, Berlin 1992.
A.G. Grauwacke, Autonome in Bewegung – aus den ersten 23 Jahren, Berlin 2004.
Gudrun Heinrich, Rot-Grün in Berlin – die Alternative Liste in der Regierungsverantwortung 1989-1990, Marburg 1993.
Walter Momper, Grenzfall – Berlin im Brennpunkt deutsche Geschichte, München 1991.
Wilfried Rott, Die Insel – Eine Geschichte West-Berlins 1948-1990, München 2009.