Beginn der Ausgrenzung
Mit dem Regierungsantritt Adolf Hitlers im Januar 1933 begann für die deutschen Juden eine Zeit massiver Ausgrenzung und Diskriminierung, die bis zu ihrer fast vollständigen Vernichtung führen sollte. Der bereits während der Kaiserzeit und noch stärker in der Weimarer Republik präsente Antisemitismus entwickelte sich in den 1930er Jahren zu einem vom Staat vorangetriebenen Vernichtungsprozess. Neben den tätlichen Angriffen auf jüdische Personen wurden Gesetze erlassen, die diese in allen Lebensbereichen zunehmend einschränkten.
So wurde zum Beispiel im Juli 1933 allen eingebürgerten „Ostjuden“ die deutsche Staatsbürgerschaft wieder aberkannt, was unter anderem Berufsverbote zur Folge hatte. Besonders ab 1938 verschlechterten sich die Zustände für die in Deutschland lebenden Juden drastisch. Ihr Vermögen wurde vom Staat erfasst, und sie mussten mit einem „J“ versehene Kennkarten bei sich führen. Außerdem wurden den deutschen Juden immer mehr Berufsverbote auferlegt, was zu einer zunehmenden Verarmung führte und folglich eine verstärkte Wehrlosigkeit gegenüber den Verfolgungsmaßnahmen nach sich zog.
Flucht aus der Heimat
Nur etwa 60 % der in Deutschland lebenden Juden konnten sich eine lebensrettende Flucht finanziell leisten. Die Familie Gelbard gehörte zu denen, die der Verfolgung durch den Nationalsozialismus rechtzeitig entkommen konnten. Sie stammten ursprünglich aus Polen, waren jedoch eingebürgerte Deutsche gewesen, bis ihnen 1933 die Staatsbürgerschaft aufgrund ihres jüdischen Glaubens wieder aberkannt worden war. Ihnen gehörte das Haus Nummer 13 in der Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain. Dort arbeitete Josef „Israel“ Gelbard, der Ehemann von Rosa Gelbard, als Hausverwalter.
Nachdem Juden jedoch durch den Gesetzeserlass vom 6. Juli 1938 auch dieser Beruf verboten worden war und Herr Gelbard seit Langem „von den ‚faulen‘ Mietern bedroht und bedrängt wurde“, entschloss sich die Familie, „alles zurückzulassen und wegzufahren“[1]. Ihr Grundstück in der Mainzer Straße mussten sie zu diesem Zweck verkaufen.
So brachen sie im September 1938 nach Tel Aviv auf und ließen all ihre Habseligkeiten zurück. Die Ausreise war schwierig, da die Grenzübergänge bereits seit 1933 stark überwacht wurden und von Ausreisewilligen eine „Reichsfluchtsteuer“ gezahlt werden musste, was die Kapitalflucht eindämmen sollte. Die Nachbarländer wollten jedoch die jüdischen Flüchtlinge bald nicht mehr aufnehmen und sperrten ihre Grenzen. Personen, die über die grüne Grenze flüchten wollten, wurden oft wegen illegaler Überschreitung der Grenze oder Passvergehen festgenommen, da Juden ab Oktober 1938 keine deutschen Reisepässe mehr besaßen, sondern nur mit einem roten „J“ gekennzeichnete Papiere. Somit wurde es zunehmend schwerer, auf legalem Weg auszureisen. Familie Gelbard aus Berlin ist es jedoch gelungen, nach Palästina zu fliehen und sich dort ein neues Leben aufzubauen. Dies geht aus dem Entschädigungsantrag von Rosa Gelbard hervor, der heute im Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten liegt.
Neue Heimat – neues Glück?
Das Leben in Palästina war mit dem in Deutschland nicht zu vergleichen. In dem unter britischer Mandatsmacht stehenden Land herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, da die arabische Bevölkerung ihr Land gegen die unerwünschten Zuwanderer verteidigen wollte. Zudem gab es nicht genügend akademische Berufe für die größtenteils sehr gebildeten Einwanderer. Um einen neuen zionistischen Staat zu errichten, wurden Handwerker und Bauern benötigt, was dazu führte, dass die meisten Einwanderer in handwerklichen Berufen arbeiten mussten. Auch das ungewohnte Klima und das unfreiwillige Verlassen der geliebten Heimat führte bei vielen zu langen Krankheiten und einer Unfähigkeit, sich an das neue Leben zu gewöhnen. So waren sie zwar dem sicheren Tod in Deutschland entronnen, doch durch die Flucht schwer gezeichnet.
Anne Sebastian, Februar 2016
[1] Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Akte Rosa Gelbard, Nr. 58 083
Quellenverzeichnis
Landesarchiv Berlin, A Rep 010-02, Nr. 31732
Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Akte Rosa Gelbard, Nr. 58 083
Literaturverzeichnis
Beate Meyer/Hermann Simon/Chana Schütz (Hrsg.), Jews in Nazi Berlin. From Kristallnacht to Liberation, Chicago 2009.
Katharina Stengel (Hrsg.), Vor der Vernichtung. Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2007.
Bundeszentrale für politische Bildung. Dossier: Gerettete Geschichten: Elf jüdische Familien im 20. Jhdt., 16.9.2014 – Kim Wünschmann, Exilländer jüdischer Flüchtlinge aus dem Dritten Reich (20.4.2016)
Hachschara in Brandenburg – die Vorbereitung junger Juden auf die Auswanderung aus Deutschland: Massnahmen/Gesetze gegen Juden im „Dritten Reich“ (20.4.2016)